Der Bundesgerichtshof

Verkündungstermin am 17. Juni 2015 (Verhandlungstermin: 29. April 2015) in Sachen VIII ZR 19/14 (Mietrückstände)

Datum: 17.06.2015

Der Beklagte zu 1 ist seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung in Baunatal, in der er zusammen mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2, lebt. Die monatliche Gesamtmiete beträgt seit Februar 2008 530,90 € (332,90 € Kaltmiete sowie 198 € Nebenkostenvorauszahlung).

Auf Antrag des Beklagten zu 1 wurde am 17. Juni 2010 das Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen eröffnet. Die Treuhänderin erklärte am 1. Juli 2010 die „Freigabe“ des Mietverhältnisses nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO**.

Der Beklagte zahlte in den Monaten März 2009 bis Oktober 2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis unter anderem mit Schreiben vom 23. Oktober 2012 unter Berufung auf seit März 2009 aufgelaufene Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14.806,36 € fristlos nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b BGB*. Während des Berufungsverfahrens kündigte die Klägerin erneut mit Schreiben vom 28. Juni 2013, in dem sie die Mietrückstände auf 16.201,01 € bezifferte.

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Das Berufungsgericht hat (insoweit ebenso wie das Amtsgericht) die Auffassung vertreten, dass der Kläger wegen der insolvenzrechtlichen Kündigungssperre (§ 112 InsO***) gehindert sei, eine Kündigung auf die vor der Insolvenzeröffnung aufgelaufenen Mietrückstände zu stützen. Dies gelte ungeachtet der „Freigabe“ des Mietverhältnisses durch die Treuhänderin und der zwischenzeitlichen Aufhebung des Insolvenzverfahrens, weil die „Wohlverhaltensphase“ noch nicht abgeschlossen sei.

Im Übrigen sei die Miete wegen eines Schimmelpilzbefalls um 20 % gemindert gewesen und habe dem Beklagten zusätzlich (monatlich) ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe des vierfachen Minderungsbetrages, mithin in Höhe von 80 % zugestanden, so dass ein Zahlungsverzug nicht habe eintreten können. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei der Zurückbehaltungsbetrag nicht auf den Betrag von etwa einer Jahresmiete beschränkt.

*§ 543 BGB Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Jede Partei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich
fristlos kündigen. …
...

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

3. der Mieter

b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der
Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für
zwei Monate erreicht.

**§ 109 Abs. 1 Insolvenzordnung

(1) Ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen ist, kann der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung kündigen; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. (2) Ist Gegenstand des Mietverhältnisses die Wohnung des Schuldners, so tritt an die Stelle der Kündigung das Recht des Insolvenzverwalters zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. […]

***§ 112 Insolvenzordnung:

Ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen ist, kann der andere Teil nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht kündigen:

1. wegen eines Verzuges mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit
vor der Eröffnung eingetreten ist.

2. wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners.

AG Kassel - Urteil vom 31. Januar 2013 – 454 C 4666/09
LG Kassel - Urteil vom 12. Dezember 2013 – 1 S 73/13