Gesetz zur Änderung des BND-Gesetzes zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts
BND-Gesetzes zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts / Gesetz zur Änderung des
vom 19.04.2021, BGBl I S. 771 (PDF, 190KB, nicht barrierefrei)
Berichtigung vom 16.02.2022, BGBl I S. 214b (PDF, 23KB, nicht barrierefrei)
Aus dem Gesetzentwurf:
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2835/17 (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes) die §§ 6, 7, 13 bis 15 des BND-Gesetzes (BNDG) für mit Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) sowie mit Artikel 5 Absatz 1 GG nicht vereinbar erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist für eine verfassungskonforme Neuregelung bis spätestens zum 31. Dezember 2021 gesetzt. Entsprechendes gilt für § 19 Absatz 1 und § 24 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 BNDG, soweit sie zur Verarbeitung personenbezogener Daten berechtigen.
Der gesetzliche Auftrag des Bundesnachrichtendienstes ist die Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außenpolitischer oder sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind. Hierdurch leistet der Bundesnachrichtendienst einen herausgehobenen Beitrag für die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland.
Die strategische Fernmeldeaufklärung stellt in diesem Zusammenhang ein wesentliches Element dar. Durch sie ist der Bundesnachrichtendienst in der Lage, ohne Zeitverzug aktuelle Geschehnisse zu erfassen und politische Bedarfsträger und auch internationale Partner hierüber zu informieren.
In einer globalisierten und technisch vernetzten Welt gewinnt die technische Aufklärung durch Nachrichtendienste eine zunehmend große Bedeutung. Um Gefahrenbereiche umfassend aufklären zu können, ist es für die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes unerlässlich, mit den technischen Entwicklungen einer mehr und mehr vernetzten Welt mithalten zu können. Die genutzten Kommunikationsformen sind volatil und fortlaufenden Veränderungen unterworfen.
Stützte der Bundesnachrichtendienst zuvor die Durchführung der strategischen AuslandFernmeldeaufklärung allein auf die gesetzliche Aufgabenzuweisungsnorm des § 1 Absatz 2 BNDG, wurde im Rahmen der letzten Novelle des BND-Gesetzes im Jahr 2016 die Rechtslage präzisiert und es wurden spezielle rechtliche Grundlagen für die strategische Ausland-Fernmeldeaufklärung vom Inland aus sowie für eine diesbezügliche Kooperation mit ausländischen öffentlichen Stellen anderer Staaten geschaffen. Auch die gemeinsame Datenhaltung mit ausländischen öffentlichen Stellen wurde auf eine spezielle Rechtsgrundlage gestellt.
Mit seinem Urteil vom 19. Mai 2020 (1 BvR 2835/17) hat das Bundesverfassungsgericht erstmals entschieden, dass sich auch Ausländer im Ausland auf den Schutzbereich des Artikels 10 Absatz 1 GG und des Artikels 5 Absatz 1 GG berufen können.
Um diesen verfassungsgerichtlichen Vorgaben gerecht zu werden, müssen die einschlägigen Normen des BND-Gesetzes grundlegend überarbeitet werden. Dabei soll der hervorgehobenen Rolle einer wirksamen Auslandsaufklärung und damit des Bundesnachrichtendienstes im Rahmen der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland Rechnung getragen werden.
Das Bundesverfassungsgericht betont in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2020 das überragende öffentliche Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung (BVerfG 1 BvR 2835/17, Randnummer 161). In diesem Zusammenhang wird unterstrichen, dass die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen, ihr hilft, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und folgenreiche Fehlentscheidungen verhindert werden können (BVerfG, a.a.O., Randnummer 162). Insoweit geht es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage stehe mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht (BVerfG, a.a.O., Randnummer 162).
Das Bundesverfassungsgericht betont zudem, dass im Zuge der Entwicklung der Informationstechnik und der internationalen Kommunikation, ebenso wie der engeren grenzüberschreitenden Verflechtung der Lebensbedingungen im Allgemeinen, Bedrohungen vom Ausland aus erheblich zugenommen haben. Die Früherkennung von Gefahrenlagen, die aus dem Ausland drohen, gewinnt dabei nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichtes auch für die Sicherheit eine besondere Bedeutung. Die Erweiterung und Internationalisierung der Kommunikationsmöglichkeiten und die damit gesteigerte Politisierung und Organisationsfähigkeit international agierender krimineller Gruppierungen führe dazu, dass innerstaatliche Gefahrenlagen oftmals durch Netzwerke international zusammenarbeitender Akteure begründet sind und leicht eine außen- und sicherheitspolitische Dimension erhalten können. Derartige Aktivitäten zielen zum Teil auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens ab und können zur Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder sowie für Leib, Leben und Freiheit werden. Dies sind Rechtsgüter von überragendem verfassungsrechtlichen Gewicht, für deren Schutz der Gesetzgeber eine wirksame und zugleich rechtsstaatlich eingehegte Auslandsaufklärung als unverzichtbar ansehen kann (BVerfG, a.a.O., Randnummer 163).
Das Bundesverfassungsgericht betont darüber hinaus, dass dem ungleich weiteren Datenzugriff der strategischen Überwachung heute im Verhältnis zu der Situation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1999 ein gesteigertes Gefahrenpotential gegenüberstehe. Vor allem aber hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, dass ein wichtiger Gesichtspunkt für die Rechtfertigungsfähigkeit der strategischen Telekommunikationsüberwachung darin liege, dass die Folgen dadurch etwas abgemildert werden, dass sie durch eine Behörde vorgenommen wird, die selbst grundsätzlich keine operativen Befugnisse habe (BVerfG, a.a.O., Randnummer 164 f.). Da die Daten gerade von einer Behörde erhoben werden, die keine eigenen operativen Befugnisse hat, ist eine weitere Datenverwendung zunächst von einer in Distanz zu eigenen Handlungsverantwortlichkeiten vorgenommenen Sichtung der Daten abhängig. Erst ihre Übermittlung zur operativen Nutzung muss daher durch qualifizierte Übermittlungsschwellen sichergestellt werden (BVerfG, a.a.O., Randnummer 165).
Gleichzeitig stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Befugnisse zur strategischen Überwachung, zur Übermittlung der mit ihr gewonnenen Erkenntnisse und zur diesbezüglichen Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten nur dann mit den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind, wenn sie durch eine unabhängige objektivrechtliche Kontrolle flankiert werden. Diese Kontrolle ist als kontinuierliche Rechtskontrolle auszugestalten, die einen umfassenden Kontrollzugriff ermöglicht. Hierfür fordert das Bundesverfassungsgericht eine mit abschließenden Entscheidungsbefugnissen verbundene gerichtsähnliche Kontrolle, der die wesentlichen Verfahrensschritte der strategischen Fernmeldeaufklärung unterliegen, sowie eine administrative Kontrolle, die eigeninitiativ strukturiert und stichprobenmäßig den gesamten Prozess der strategischen Fernmeldeaufklärung auf seine Rechtmäßigkeit prüfen kann (BVerfG, a.a.O., Randnummer 272 ff.). Zu gewährleisten ist eine Kontrolle in institutioneller Eigenständigkeit. Hierzu gehören ein eigenes Budget, eine eigene Personalhoheit sowie Verfahrensautonomie. Die Kontrollorgane sind personell wie sachlich so auszugestalten, dass sie ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen können (BVerfG, a.a.O., Randnummer 282 ff.). Sie müssen gegenüber dem Bundesnachrichtendienst alle für eine effektive Kontrolle erforderlichen Befugnisse haben und die Kontrolle darf nicht durch die „Third Party Rule“ behindert werden (BVerfG, a.a.O., Randnummer 292 ff.)
Neben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Novellierung auch die Vorgaben zweier Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2017 (BVerwG 6 A 6.16 und 6 A 7.16) um. In diesen Verfahren hatte das Bundesverwaltungsgericht über zwei Klagen gegen das bis zu diesem Zeitpunkt durch den Bundesnachrichtendienst genutzte Verkehrsdatenanalysesystem (VERAS) zu entscheiden. In VERAS wurden Verkehrsdaten der Kommunikation von deutschen Staatsangehörigen, inländischen juristischen Personen oder sich im Bundesgebiet aufhaltende Personen mit dem Ausland gespeichert. Vor ihrer Speicherung wurden die Daten jedoch durch den Bundesnachrichtendienst anonymisiert, sodass diese nicht mehr individualisierbar waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierin ungeachtet der vor der Speicherung vorgenommenen Anonymisierung einen Eingriff in den Schutzbereich des Artikels 10 Absatz 1 GG gesehen. Solche Eingriffe sind demnach nur zulässig, wenn sie auf eine spezielle gesetzliche Rechtsgrundlage gestützt werden könnten. Diese fehlte zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch sowohl im BNDG als auch im Artikel 10-Gesetz und wird nunmehr geschaffen.
Das Ziel dieser grundlegenden Novelle der bestehenden Rechtslage des Bundesnachrichtendienstes ist es somit – in Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts –, die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes im Rahmen der technischen Aufklärung und der Weiterverarbeitung der so erhobenen Daten auf eine rechtssichere und bestimmte Rechtsgrundlage zu stellen. Damit soll auch für die Zukunft eine wirksame und zugleich rechtsstaatlich eingehegte Auslandsaufklärung mit technischen Mitteln ermöglicht werden.
Bezug:
- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020 betr. Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (1 BvR 2835/17)
- Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2017 betr. Speicherung und Nutzung von Telekommunikations-Metadaten durch den Bundesnachrichtendienst (Verkehrsdatenanalysesystem VERAS) (BVerwG 6 A 6.16 und 6 A 7.16)
Referentenentwurf (PDF, 819KB, nicht barrierefrei) (25.11.2020)
Regierungsentwurf (PDF, 921KB, nicht barrierefrei) (16.12.2020)
Aus dem Angebot des Deutschen Bundestages*:
Parlamentsmaterialien beim DIP (HTML) | Parlamentsmaterialien beim DIP (PDF, 595KB, nicht barrierefrei) |
Öffentliche Anhörung vor dem Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages am 22.02.2021
Stellungnahmen
- zum Referentenentwurf
Bitkom (PDF, 64KB, nicht barrierefrei)
Bundesrechtsanwaltskammer (PDF, 164KB, nicht barrierefrei)
Bundessteuerberaterkammer (PDF, 142KB, nicht barrierefrei)
Bundesverband der Deutschen Industrie (PDF, 120KB, nicht barrierefrei)
eco - Verband der Internetwirtschaft (PDF, 125KB, nicht barrierefrei)
Weitere Stellungnahmen auf der Seite der Bundesregierung
- zum Regierungsentwurf (BT-Drs 19/26103 (PDF, 3MB, nicht barrierefrei))
Deutscher Anwaltverein (PDF, 468KB, nicht barrierefrei)