Der Bundesgerichtshof

Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht / Gesetz zur Abmilderung der Folgen der

vom 27.03.2020, BGBl I S. 569 (PDF, 60KB, nicht barrierefrei)

Aus dem Gesetzentwurf:

Die Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) hat in der Bundesrepublik Deutschland zu ganz erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und des Wirtschaftslebens geführt, die noch vor wenigen Wochen undenkbar erschienen.

1. Zivilrecht
Zur Eindämmung des massiven Anstiegs der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus haben Behörden im März 2020 die Schließung einer Vielzahl von Freizeit und Kultureinrichtungen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsgeschäften angeordnet und zahlreiche öffentliche Veranstaltungen untersagt. Gesundheitsbehörden haben für Menschen, die sich mit diesem Virus infiziert haben oder die Kontakt mit Infizierten hatten, häusliche Quarantäne angeordnet. In der Folge haben auch Unternehmen des produzierenden Gewerbes ihr Geschäft beschränkt oder eingestellt.
Diese Maßnahmen werden zu erheblichen Einkommensverlusten bei Personen führen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus dem Betrieb dieser Einrichtungen und Unternehmen oder aus öffentlichen Veranstaltungen bestritten haben oder deren Einnahmen davon abhängig sind.
Verfügen diese Personen nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen, werden sie bis zur Aufhebung der Maßnahmen nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sein, ihre laufenden Verbindlichkeiten zu begleichen.
Die Bundesregierung plant für Unternehmer, Einzelunternehmer, andere kleine, mittlere und große Unternehmen sowie Kreditinstitute verschiedene wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen. Für den Bereich des Zivilrechts soll mit diesem Gesetz ein Moratorium für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen eingeführt werden, das betroffenen Verbrauchern und Kleinstunternehmen, die wegen der COVID-19-Pandemie ihre vertraglich geschuldeten Leistungen nicht erbringen können, einen Aufschub gewährt. Dieser gilt für Geldleistungen und andere Leistungen. Damit wird für Verbraucher und Kleinstunternehmen gewährleistet, dass sie etwa von Leistungen der Grundversorgung (Strom, Gas, Telekommunikation, soweit zivilrechtlich geregelt auch Wasser) nicht abgeschnitten werden, weil sie ihren Zahlungspflichten krisenbedingt nicht nachkommen können.
Für die Mieter unter ihnen wird es insbesondere ein Problem sein, die laufende Miete für Wohn- beziehungsweise Gewerbeflächen zu begleichen. Ebenso betroffen sind Pächter, die eine Pacht zu entrichten haben. Bei der Wohnraummiete lag die durchschnittliche Mietbelastungsquote (Anteil der bruttowarmen Mietkosten am Haushaltsnettoeinkommen) im Jahr 2017 bei immerhin 29 Prozent (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Christian Kühn u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 19/17465 (PDF, 191KB, nicht barrierefrei)).
Mietverhältnisse können aus wichtigem Grund aber bereits dann außerordentlich fristlos gekündigt werden, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht (§ 543 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)).
Es ist zu erwarten, dass sich die Einnahmeverluste der vorgenannten betroffenen Personen auf durchschnittlich mehr als zwei Monatsmieten belaufen werden. Nur einem Teil dieser Personen dürften Sozialleistungen etwa in Form von Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Wohngeld zustehen. Selbst bei diesen Personen ist angesichts der Vielzahl der von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in ihrer Leistungsfähigkeit Betroffenen nicht mit Sicherheit zu sagen, ob es den für diese Leistungen zuständigen Behörden in jedem Fall gelingen wird, den Antrag kurzfristig zu bearbeiten und die Gelder so zeitig auszuzahlen, dass ein kündigungsrelevanter Mietrückstand verhindert werden kann. Gleiches gilt für Unternehmen, die zur Überwindung des pandemiebedingten finanziellen Engpasses auf staatliche Hilfen angewiesen sind.
Die COVID-19-Pandemie und dadurch verursachte Einnahmeausfälle werden viele Personen nicht nur als Mieter, sondern auch als Darlehensnehmer schmerzhaft treffen. Darlehen werden in der Regel aus dem laufenden Einkommen oder aus erzielten Einnahmen abbezahlt. Die zum Zeitpunkt der Darlehensaufnahme unvorhersehbaren krisenbedingten Einbußen werden vielerorts dazu führen, dass die Rückzahlung von Darlehen oder die regelmäßigen Zins- und Tilgungszahlungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht oder nur noch mit Abstrichen geleistet werden können. Verbraucher geraten so in Gefahr, dass das Darlehen verzugsbedingt gekündigt und die eingeräumte Sicherheit verwertet wird.

2. Insolvenzrecht
Die COVID-19-Pandemie entfaltet negative wirtschaftliche Auswirkungen auf viele Unternehmen, die Insolvenzen nach sich ziehen können. Im Insolvenzfall können nicht nur Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen (§ 14 der Insolvenzordnung (InsO)), sondern sind die Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet. Diese Pflicht ist straf- und haftungsbewehrt. Weitere Haftungsgefahren resultieren aus gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverboten bei eingetretener Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 92 Absatz 2 Satz 1 des Aktiengesetzes, § 130a Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1, des Handelsgesetzbuchs und § 99 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes). Auch die Vorstände von Vereinen unterliegen haftungsbewehrten Insolvenzantragspflichten (§ 42 Absatz 2 BGB). Die derzeitigen Unsicherheiten erschweren zudem die Erstellung verlässlicher Prognosen und Planungen, auf welche sich die Vergabe von Sanierungskrediten stützen könnte. Folglich ist die Sanierungskreditvergabe auch mit Haftungs- und Anfechtungsrisiken verbunden, welche die Bereitschaft zur Kreditvergabe weiter hemmen. Die Bereitschaft von Gesellschaftern zu Gewährung von Darlehen wird durch die Rangsubordination des § 39 Absatz 1 Nummer 5 InsO und flankierende Einschränkungen (§§ 44a, 135 Absatz 1 Nummer 2 InsO) gehemmt. Schließlich besteht bei eingetretener Insolvenzreife das Risiko, dass Gläubiger und Vertragspartner des Schuldners erhaltene Leistungen und Zahlungen in einem späteren Insolvenzverfahren infolge einer Insolvenzanfechtung wieder herausgeben müssen. Das kann die Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Schuldner gefährden. Ziel der vorgeschlagenen insolvenzrechtlichen Regelungen ist es, die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben.

3. Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht
Die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie, insbesondere die Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten von Personen, haben zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit von Unternehmen verschiedener Rechtsformen, da diese teilweise nicht mehr in der Lage sind, auf herkömmlichem Weg Beschlüsse auf Versammlungen der entsprechenden Organe herbeizuführen. Dies betrifft einerseits die in der Regel jährlich stattfindenden ordentlichen Versammlungen, die vielfach der Feststellung des Jahresabschlusses und der Festlegung einer Gewinnausschüttung dienen, und andererseits außerordentliche Versammlungen, die aufgrund besonderer Maßnahmen erforderlich sind, insbesondere für Kapitalmaßnahmen und Umstrukturierungen. Letztere sind vor allem bei außergewöhnlichen Umständen, wie sie derzeit bestehen, möglicherweise von existenzieller Bedeutung für die betroffenen Gesellschaften, Vereine, Stiftungen und Genossenschaften.
Darüber hinaus ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar, wie lange die Auswirkungen der COVID-19-Krise eine herkömmliche Beschlussfassung erschweren und ob die bestehenden gesetzlichen Fristen für bestimmte Versammlungsbeschlüsse eingehalten werden können. Dies könnte unter anderem auch zur Folge haben, dass bei einzelnen Rechtsformen die Bestellungszeiträume für bestimmte Ämter oder Positionen ablaufen und mangels Beschlussfassung nicht neu besetzt werden können. Dies könnte eine Führungslosigkeit bei Unternehmen einzelner Rechtsformen zur Folge haben. Für Wohnungseigentümergemeinschaften besteht zudem die Gefahr, dass ihre Finanzierung nicht mehr sichergestellt ist, wenn die Fortgeltung des Wirtschaftsplans nicht beschlossen worden ist.

4. Strafverfahrensrecht
Die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie betreffen auch die Gerichte und Staatsanwaltschaften. Vor allem für strafgerichtliche Hauptverhandlungen ist trotz der zuletzt im Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2121 (PDF, 68KB, nicht barrierefrei)) vorgenommenen Erweiterungen absehbar, dass die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Hemmung der Unterbrechungsfristen bei strafgerichtlichen Hauptverhandlungen in § 229 Absatz 3 der Strafprozessordnung nicht ausreichend sind. Ziel der strafverfahrensrechtlichen Regelungsvorschläge ist es, durch einen zusätzlichen Hemmungstatbestand die Fortsetzung vieler durch die COVID-19-Pandemie unterbrochener Strafverfahren zu ermöglichen und so die Aussetzung und vollständige Neuverhandlung dieser Prozesse zu vermeiden.

Formulierungshilfe (PDF, 458KB, nicht barrierefrei) der Bundesregierung (23.03.2020)


Aus dem Angebot des Deutschen Bundestages*:

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