Der Bundesgerichtshof

Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts / Gesetz zur

vom 04.05.2021, BGBl I S. 882 (PDF, 382KB, nicht barrierefrei)

Aus dem Gesetzentwurf:

Das Vormundschaftsrecht stammt in weiten Teilen aus der Entstehungszeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Jahr 1896. Es enthält detaillierte Regelungen zur Vermögenssorge des Vormunds, die allerdings weithin die Verhältnisse um das Jahr 1900 abbilden, und nur wenige Regelungen zur Personensorge. Durch zahlreiche Ergänzungen und Änderungen ist das Vormundschaftsrecht unübersichtlich geworden und bildet die aktuelle Praxis nicht zutreffend ab. Hinzu kommt, dass das im Jahr 1992 eingeführte Betreuungsrecht vor allem zur Vermögenssorge und zur gerichtlichen Aufsicht auf die Regelungen für den Vormund verweist. Dies führt zur Unübersichtlichkeit und birgt für die Rechtsanwender etliche Probleme.

Eine mitunter unzureichende Personensorge hat bereits im Jahr 2011 zu einer Änderung des Vormundschaftsrechts geführt. Nunmehr soll das Vormundschaftsrecht nach dem Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode umfassend reformiert werden, um die Personensorge für Minderjährige zu stärken und die Vorschriften zur Vermögenssorge zu modernisieren.

Auch das Betreuungsrecht bedarf einer grundlegenden Modernisierung. Die Ergebnisse der beiden in den Jahren 2015 bis 2017 im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) durchgeführten Forschungsvorhaben zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ (Matta/Engels/Brosey/Köller u.a., Abschlussbericht, Bundesanzeiger Verlag 2018) und zur „Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“ (Nolting/Zich/Tisch/Braeseke, Abschlussbericht, Band I und II, Bundesanzeiger Verlag 2018) haben gezeigt, dass das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen im Sinne von Artikel 12 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl. 2008 II S. 1419, 1420 (PDF, 232KB, nicht barrierefrei); UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) im Vorfeld und innerhalb der rechtlichen Betreuung nicht durchgängig zufriedenstellend verwirklicht ist und es zudem Qualitätsmängel bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben gibt, die auch Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich machen. Im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode wurde daher unter anderem festgelegt, dass das Betreuungsrecht unter Berücksichtigung der Ergebnisse der beiden genannten Forschungsvorhaben in struktureller Hinsicht verbessert werden soll. Im Einzelnen sollen der Vorrang sozialrechtlicher Hilfen vor rechtlicher Betreuung, die Qualität der Betreuung sowie Auswahl und Kontrolle von Betreuerinnen und Betreuern, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen („Unterstützen vor Vertreten“), sowie die Finanzierung der unverzichtbaren Arbeit der Betreuungsvereine in Zusammenarbeit mit den Ländern gestärkt werden (Zeilen 6257 bis 6266 des Koalitionsvertrags). Diese Ziele sollen mit diesem Entwurf umgesetzt werden. Die konzentrierte Überprüfung der betreuungsrechtlichen Vorschriften im Rahmen des zur Vorbereitung der Gesetzesänderungen durch das BMJV durchgeführten interdisziplinären und partizipativen Diskussionsprozesses hat an zahlreichen Stellen erheblichen Änderungsbedarf gezeigt, der die Aufgabenerfüllung der wesentlichen im Betreuungsrecht tätigen Akteure (Betreuer, Betreuungsvereine, Betreuungsbehörden und Betreuungsgerichte) betrifft. Die mit dem Entwurf vorgeschlagenen Änderungen sind zentral darauf ausgerichtet, Selbstbestimmung und Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung im Sinne von Artikel 12 UN-BRK zu stärken, die Qualität der rechtlichen Betreuung in der Anwendungspraxis zu verbessern und durch eine bessere Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes, insbesondere an der Schnittstelle zum Sozialrecht, sicherzustellen, dass ein rechtlicher Betreuer nur dann bestellt wird, wenn dies zum Schutz des Betroffenen erforderlich ist. Ehegatten können nach geltendem Recht weder Entscheidungen über medizinische Behandlungen für ihren nicht mehr selbst handlungsfähigen Partner treffen noch diesen im Rechtsverkehr vertreten, solange sie nicht als rechtliche Betreuer ihres Partners bestellt werden oder von ihm durch eine Vorsorgevollmacht bevollmächtigt worden sind. Hier soll für medizinische Akutsituationen nach dem Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode ein gesetzliches Notvertretungsrecht geschaffen werden.

Bezug:

  • Vereinbarung im Koalitionsvertrag zur Modernisierung des Vormundschaftsrechts und Verbesserung des Betreuungsrechts sowie zur Ehegattenvertretung in Gesundheitsangelegenheiten und Vermeidung von Betreuerbestellungen

  • Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 12 – Gleiche Anerkennung vor dem Recht) (BGBl. 2008 II S. 1419, 1420 (PDF, 232KB, nicht barrierefrei); UN-Behindertenrechtskonvention)

  • Abschlussbericht zur "Qualität in der rechtlichen Betreuung" von 2018 (BMJV / Bundesanzeiger Verlag)

  • Abschlussbericht zur "Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte "andere Hilfen"" von 2018 (Band I und II, BMJV / Bundesanzeiger Verlag)

Referentenentwurf (PDF, 4MB, nicht barrierefrei) (23.06.2020)


Aus dem Angebot des Deutschen Bundestages*:

Parlamentsmaterialien beim DIP (HTML)Parlamentsmaterialien beim DIP (PDF, 593KB, nicht barrierefrei)


Öffentliche Anhörung vor dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 16.12.2020

Beschlussempfehlung des Ausschusses:

zahlreiche Änderungen, u.a. betr. Ausweitung des Ehegatten-Notvertretungsrechts auf 6 Monate, Verkürzung der Überprüfungsfrist von gegen den Willen des Betreuten erfolgten Betreuungen auf 2 Jahre, Bestellung eines Betreuungsvereins auf Wunsch des Betreuten, Prozessfähigkeit und Zustellung bei rechtlicher Betreuung, berufliche Qualifizierungsmöglichkeit für ehrenamtliche Betreuer über einen Betreuungsverein, Verbot der Zwangssterilisation, Zulässigkeit der Einwilligung eines Sterilisationsbetreuers in die Sterilisation nicht einwilligungsfähiger Frauen, sprachliche Klarstellungen, Folgeänderungen;
Erneute Änderung zahlr. §§ in 10 Gesetzen

Stellungnahmen

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