Konfliktmanagement
Ansprache des Präsidenten des Bundesgerichtshofes
Prof. Dr. Günter Hirsch
beim 3. Konfliktmanagement- Kongress 2006 in Hannover am 08.07.2006
Sehr geehrte Frau Ministerin, verehrte Damen und Herren, ich habe heute die ehrenvolle Aufgabe, auf diesem nun zum dritten Mal stattfindenden Konfliktmanagement-Kongress in Hannover den diesjährigen Festvortrag zu halten.
Sie werden sich vielleicht fragen, warum gerade ich als Präsident des Bundesgerichtshofs mich zu diesem Thema äußere, assoziiert man den Begriff Konfliktmanagement doch nicht ohne weiteres mit dem Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof entscheidet als Revisionsgericht in der Regel streitig durch Urteil oder Beschluss. In Zivilsachen wird er nur tätig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Raum für Konfliktmanagement bleibt da wenig.
Lassen Sie mich es gleich vorweg nehmen: Die Förderung der einvernehmlichen Streitschlichtung ist mir - wie auch Ihnen, verehrte Frau Ministerin - ein großes Anliegen. Denn dadurch wird nicht nur die Justiz entlastet, häufig dienen Lösungen, die im Schlichtungswege gefunden worden sind, in stärkerem Maße der Befriedigung der Parteien als eine gerichtliche Entscheidung.
Aber was bedeutet Konfliktmanagement eigentlich? Versteht man Konfliktmanagement als Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Eskalation oder einer Ausbreitung eines bestehenden Konflikts, so dient selbstverständlich auch die streitige Entscheidung der Beilegung eines Konflikts. Ich will mich jedoch im Folgenden – entsprechend dem Sprachgebrauch – auf die Maßnahmen beschränken, die versuchen, den Konflikt unter Einbezug der Parteien gütlich beizulegen. Dazu gehören unter anderem der Vergleich, das Schiedsgerichtsverfahren und die Mediation.
Konfliktmanagement, insbesondere Mediation, wird häufig als eine neuartige Methode zur Konfliktlösung angepriesen. Dabei hat die einvernehmliche Streitschlichtung eine alte Tradition. Die USA wird als Mutterland der Mediation bezeichnet. (1) Tatsächlich aber handelt es sich um ein Jahrtausende altes Modell der Konfliktregelung, welches vor allem im asiatischen Kulturkreis praktiziert wird. (2) Von den USA aus ist die Mediation als alternative Form der Konfliktlösung nach Deutschland gekommen.
Das Thema Konfliktmanagement ist mittlerweile in allen Bereichen zu Hause. Teilweise wird sogar von einer Schlichtungseuphorie gesprochen. (3) Auch wir – als Juristen – können und wollen nicht umhin, uns damit auseinanderzusetzen. Bislang haben wir eher alles, was sich mit dem Wort Management beschäftigte, dem Bereich der Wirtschaft zugeordnet. Konfliktmanagement war ein Führungsinstrument der Wirtschaft. Seit einigen Jahren aber hält dieser Begriff Einzug in die Justiz.
So hat z. B. der Bundesgerichtshof aufgrund einer Rahmendienstvereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem Hauptpersonalrat seit dem Jahr 2002 einen Konfliktberater. Dieser wird bei Konflikten zwischen Beschäftigten tätig. Darum geht es bei ihrem Kongress natürlich nicht. Ich will damit lediglich zweierlei aufzeigen: Erstens ist die Lösung von Konflikten mit dem Instrument der Streitvermittlung keine Besonderheit, sondern in vielen Bereichen bereits gängige Praxis. Zweitens basiert die Konfliktberatung auf Grundsätzen, die auch für die Mediation im gerichtlichen Verfahren gelten, nämlich die Elemente der Freiwilligkeit und Vertraulichkeit, auf die ich später noch eingehen werde.
Die Bedeutung des Konfliktmanagements für Juristen ist inzwischen unbestritten. Die rechtswissenschaftliche Literatur über Mediation vom Handbuch bis zur empirischen Forschung ist beinahe unübersehbar. Auch die Wissenschaft hat sich diesem Thema angenommen. So gibt es an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder einen Master-Studiengang Mediation. Online-Trainingsprogramme in Sachen Mediation können von jedem Internet-Benutzer in Anspruch genommen werden.
Es gibt vielfältige Arten von Konfliktmanagement im Sinne einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich in diesem Rahmen nicht alle aufzählen kann. Grob kann zunächst unterschieden werden, ob die Streitvermittlung gerichtlich oder außergerichtlich erfolgt und ob sie obligatorisch oder freiwillig ist.
Die Zivilprozessordnung hebt durch die neu gestaltete Vorschrift des § 278 ZPO noch deutlicher als bisher den Auftrag der Gerichte hervor, auf eine einvernehmliche Bereinigung des zwischen den Parteien bestehenden Konflikts hinzuwirken. (4) Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht sein. Zu diesem Zwecke geht der mündlichen Verhandlung eine Güteverhandlung voraus, es sei denn, eine solche erscheint aussichtslos oder hat bereits erfolglos stattgefunden. Auch kann das Gericht die Parteien für die Güteverhandlung vor einen beauftragten oder ersuchten Richter verweisen.
Ein obligatorisches außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren für zivilrechtliche Konflikte ist seit einigen Jahren in § 15 a EGZPO geregelt. Danach werden die Landesgesetzgeber ermächtigt zu bestimmen, dass die Klage aus bestimmten Streitigkeiten erst zulässig ist, nachdem von einer Gütestelle versucht worden ist, diese einvernehmlich beizulegen. Der Kreis der in Betracht kommenden Streitigkeiten ist eng begrenzt und betrifft u. a. vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Wert bis zu 750 Euro, nachbarrechtliche Streitigkeiten und Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden ist. Mietkonflikte sind nicht ausdrücklich aufgeführt.
Mein Kollege, Professor Römer, hat sich bereits auf dem 1. Konfliktmanagement- Kongress in seinem Festvortrag mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich § 15 a EGZPO bewährt hat. Auch gibt es zwischenzeitlich zahlreiche Untersuchungen und Abhandlungen zu diesem Thema (5), so dass ich mir weitere Ausführungen dazu ersparen möchte. Mir scheint zumindest zweifelhaft, ob für eine Konfliktlösung, die auf dem Konsens der Parteien basiert, der erzwungene Gang zur Gütestelle förderlich ist. Aber ich bin auf die Ergebnisse des Forums gespannt, das sich im Anschluss mit der obligatorischen Streitschlichtung bei Mietkonflikten beschäftigen wird.
Das Schiedsgerichtsverfahren ist das Verfahren vor einem Schiedsgericht, welches das staatliche Gericht ersetzt. Private Schiedsgerichte sind auf der Parteiautonomie basierende private Gerichte, denen die Entscheidung bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten anstelle staatlicher Gerichte durch private Willenserklärung übertragen ist. (6) Der Staat unterstützt die private Schiedsgerichtsbarkeit z. B. bei der Beweisaufnahme oder sonstigen richterlichen Handlungen, zu denen das Schiedsgericht nicht befugt ist (§ 1050 ZPO), und kontrolliert sie, um einen Mindeststandard an Fairness zu gewährleisten. (7) So kann ein Schiedsspruch aufgehoben werden, wenn das staatliche Gericht feststellt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, welches der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO).
Ihnen ist bekannt, dass in zahlreichen Bereichen des nationalen und internationalen Wirtschaftslebens die Schiedsgerichtsbarkeit vereinbart ist. Die Gründe, deretwegen in vielen Fällen die schiedsgerichtliche Erledigung der Entscheidung durch die staatlichen Gerichte vorgezogen wird, sind vielfältig. Ich darf an dieser Stelle nur die Stichworte Vertraulichkeit, kürzere Verfahrensdauer, Kostengünstigkeit, besondere Sachkunde der Schiedsrichter, Flexibilität in der Verfahrensgestaltung, leichtere internationale Durchsetzbarkeit nennen. (8)
Gerade Wirtschaftsunternehmen legen häufig Wert auf Vertraulichkeit und sind darauf bedacht, dass Konkurrenzunternehmen nicht Betriebsgeheimnisse zugänglich gemacht werden. Dies kann ein öffentliches Verfahren vor staatlichen Gerichten nicht immer garantieren.
Von Vorteil ist für die Schiedsparteien auch insbesondere, dass sie den Schiedsrichter nach den spezifischen Erfordernissen des jeweiligen Streitfalles z. B. in technischer, wirtschaftlicher oder juristischer Hinsicht bestimmen können, der deswegen bei den Parteien häufig von vornherein ein höheres Vertrauen genießt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zum Verhältnis der staatlichen Gerichtsbarkeit zur Schiedsgerichtsbarkeit sagen: Ich möchte gar nicht erst den Eindruck aufkommen lassen, dass Schiedsgerichte Ausdruck des Versagens staatlicher Gerichte sind. Vielmehr ergänzen sich Schiedsgerichtsbarkeit und staatliche Gerichtsbarkeit in einer Weise, dass für jede Art von Streitigkeit ein möglichst adäquater Beilegungsmechanismus zur Verfügung gestellt wird.(9) Die von mir genannten Aspekte sind gerade für Unternehmen maßgebliche Kriterien, die die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsbarkeit nahe legen.
Schiedsgerichte sind aus dem Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Ihr Vorteil für die Justiz liegt unbestritten in einer enormen Entlastung der ohnehin knappen Ressourcen. Ein Nachteil, den ich nicht verschweigen möchte, ist allerdings der Umstand, dass durch die Vertraulichkeit des Verfahrens die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und damit der Rechtsfortbildung beschränkt sind.
Ich möchte eine Form der außergerichtlichen freiwilligen Streitschlichtung nicht unerwähnt lassen, die in einigen Branchen angeboten und dort überaus erfolgreich praktiziert wird: das Institut des Ombudsmanns. So gibt es Ombudsleute bei Banken, Bausparkassen und Versicherungen. Herr Professor Römer ist z. B. bekanntlich erster Ombudsmann für Versicherungen. Ein Ombudsmann ist nicht nur Schlichter. Er hat auch die Aufgabe, in einer Organisation oder in der Öffentlichkeit eine ungerechte Behandlung von Personengruppen zu verhindern. Er ist Sprachrohr von Personen, die ansonsten wenig Beachtung finden würden. (10) In welchem Umfang der Ombudsmann die Gerichte entlastet, ist mir nicht bekannt. Die Anzahl der Beschwerden lassen jedoch vermuten, dass dies nicht unerheblich sein dürfte. (11) So gehen beim Ombudsmann für Versicherungen jährlich über 15.000 Beschwerden ein, wovon etwa ein Drittel Erfolg hat. (12)
Daneben gibt es eine Reihe von Schlichtungsstellen, die der Betroffene in Anspruch nehmen kann. Neben Schlichtungsangeboten der Ärztekammern will ich nur die heute uns besonders interessierenden Mietschlichtungsstellen nennen. (13) Diese haben bislang allerdings nur einen geringen Zulauf. Nach einer Studie der Universität Bremen wurden die Mietschlichtungsstellen in Düsseldorf und Wuppertal über einen Zeitraum von zehn Jahren lediglich mit etwa 160 Verfahren befasst. (14) Warum diese Stellen nicht in wünschenswertem Maße genutzt werden, ist fraglich. Möglicherweise hat es etwas damit zu tun, dass diese Form der Streitschlichtung in der Bevölkerung nicht hinreichend bekannt ist. (15) Vielleicht spielen aber auch gesellschaftliche Ursachen eine Rolle, weshalb die Parteien eine Konfliktlösung primär durch Richterspruch suchen. (16) Möglicherweise ändert sich dies aber durch ein weiteres Instrument der konsensualen Streitvermittlung, auf das ich im Folgenden schwerpunktmäßig eingehen möchte: Die Mediation.
Kein anderes Streitschlichtungsmodell hat in den letzten Jahren eine solche Aufmerksamkeit genossen wie die Mediation. Woran liegt das?
Die ständige Suche nach Entlastungsmöglichkeiten für die Justiz angesichts der immer knapper werdenden Ressource Recht förderte den Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus. Ich erwähnte bereits, dass die Mediation in den USA seit Jahren in allen gesellschaftlichen Bereichen erfolgreich durchgeführt wird. (17) Mittlerweile gibt es auch auf europäischer Ebene Bestrebungen, einen leichteren Zugang zur Streitschlichtung durch die Förderung der Anwendung der Mediation zu ermöglichen. (18)
2004 wurde eine europäische Richtlinie über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen verabschiedet.
Darüber hinaus nimmt die Erkenntnis bei vielen Richtern zu, dass der Streit der Parteien nicht immer ausschließlich um bestimmte Rechtspositionen geht, sondern um Interessen, die mit diesen Rechtspositionen nicht unbedingt übereinstimmen müssen. Versucht der Richter, hier sein klassisches Vergleichsrepertoire anzuwenden, so wird er manches Mal scheitern. Der Vergleich basiert auf der Rechtslage und kann nur in beschränktem Maße die weiteren Interessen der Parteien berücksichtigen.
Deshalb ist in den letzten Jahren die Bereitschaft von Richtern gestiegen, die Parteien in einer Weise zufrieden zu stellen, dass sie nicht nur den rechtlichen Konflikt lösen, sondern den Interessen beider gerecht werden.
Bei der Mediation ist zwischen der gerichtlichen und der außergerichtlichen Streitschlichtung zu unterscheiden. Die außergerichtliche Mediation ist durch das ZPOReformgesetz 2002 in § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO gesetzlich normiert worden, indem dem Prozessgericht die Möglichkeit eingeräumt wird, in geeigneten Fällen den Parteien eine außergerichtliche Streitschlichtung vorzuschlagen. Diese außergerichtliche Streitschlichtung wird vielfach von Rechtsanwälten wahrgenommen. Die Untersuchung der Auswirkungen von § 278 Abs. 5 Satz 2 ZPO zählt zum Programm der Evaluation der ZPO-Reform, deren Ergebnisse demnächst zu erwarten sind.
Mir wurde berichtet, dass das Angebot der Schlichtung durch Rechtsanwälte oder Notare eher zögerlich angenommen wird.
Die Rechtsgrundlage dafür, dass die Gerichte eigene Mediationen („gerichtsnahe oder gerichtsinterne Mediationen“) durchführen, ist nicht ausdrücklich in der Zivilprozessordnung geregelt. Jedoch gehört es nach dem Willen des Gesetzgebers zu den wesentlichen Richteraufgaben, auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht zu sein (§ 278 Abs. 1 ZPO). Auf dieser Grundlage werden Modellprojekte in den einzelnen Bundesländern durchgeführt. Gerade in diesen Projekten zeigt sich die Bereitschaft der Richter, neue Wege im Rahmen der Konfliktlösung zu gehen.
Ich möchte gern diese Modellprojekte in allgemeiner Form näher beleuchten, obwohl der Bundesgerichtshof – wie eingangs erwähnt - in diesem Bereich aufgrund seiner 9 Aufgabe als Revisionsgericht naturgemäß nur Zuschauer sein kann. Ich stehe jedoch in engem Kontakt mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, und das Thema Mediation wird seit dem Jahr 2004 alljährlich auf der Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs ausführlich erörtert. Außerdem befasst sich das Netzwerk der Präsidenten der Obersten Gerichtshöfe der Europäischen Union in einer Arbeitsgruppe mit diesem Thema.
Zuvor möchte ich aber kurz auf die Ziele und die Grundlagen der Mediation eingehen: Ziel der Mediation ist eine verbindliche, in die Zukunft weisende Vereinbarung. (19) Die Mediation dient der gütlichen Einigung zwischen den Parteien und frägt auch danach, wie die Parteien zukünftig miteinander umgehen wollen. Nicht der Mediator, sondern ausschließlich die Parteien entscheiden darüber, worüber sie verhandeln und wie sie ihren Konflikt lösen wollen. Der Mediator hat keine Entscheidungsbefugnis über den Streitgegenstand. Er ist lediglich Katalysator der eigenen Bemühungen der Parteien, strukturiert und unterstützt nur ihre Verhandlungen.
Eine vor wenigen Wochen durchgeführte Umfrage bei den Oberlandesgerichten hat ergeben, dass es Mediationsangebote in 14 Oberlandesgerichtsbezirken gibt. In zwei weiteren OLG-Bezirken bestehen konkrete Pläne.
Nach Gerichten aufgeteilt haben sechs Oberlandesgerichte, 30 Landgerichte und 29 Amtsgerichte Mediationsabteilungen eingerichtet.
Vorreiter der Mediation war das Landgericht Göttingen, bei dem in den Jahren 2002 bis 2005 mehr als 1000 Gerichtsmediationen durchgeführt worden sind. Kurz den Ablauf dieses Modellprojekts:
Die Akten werden ohne besondere Vorprüfung einer Falleignung dem Richtermediator zugeleitet, der den Verfahrensbeteiligten das Mediationsangebot unterbreitet. Stimmen diese zu, wird für die Dauer des Mediationsverfahrens das Ruhen des gerichtlichen Verfahrens angeordnet. Regelmäßig innerhalb von vier Wochen findet das Mediationsgespräch statt, welches nicht öffentlich und vertraulich ist. Auf Wunsch der Parteien können auch andere an dem Rechtsstreit nicht unmittelbar beteiligte Personen teilnehmen. Die erfolgreiche Mediation führt in der Regel zu einem Vergleich, den der ersuchte Richter protokolliert und der Vollstreckungstitel gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist. In Betracht kommt auch die Möglichkeit, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten und das Gericht das Zustandekommen des Vergleichs durch Beschluss feststellt ( § 278 Abs. 6 ZPO). Bei der Vollstreckung gibt es keine Besonderheiten gegenüber der Vollstreckung streitiger Entscheidungen.
Von einer erfolgreichen gerichtsnahen Mediation kann erwartet werden, dass sie ein Mehr an Rechtsfrieden zur Folge hat. Denn bei der Mediation steht nicht der Streit über Rechtspositionen in der Vergangenheit im Vordergrund, sondern die Suche nach einem Konsens zwischen den Interessen der Beteiligten für die Zukunft. Das Recht ist nicht der alleinige Bezugspunkt, sondern die Wünsche und Bedürfnisse der Parteien.
Ganz wichtig ist, dass die Beteiligten selbst die Verantwortung für das Gelingen der Mediation tragen. Der Mediator hat keine Entscheidungsbefugnis. Güteverhandlungen in gerichtlichen Verhandlungen leiden an dem strukturellen Problem, dass die Vergleichsgespräche regelmäßig vor dem zuständigen Streitrichter stattfinden. Dies hat zur Folge, dass die Parteien aus prozesstaktischen Gründen häufig nicht interes11 senbezogen, sondern positionsbezogen in dem Bewusstsein vortragen, vor der voraussichtlich entscheidungsbefugten Person öffentlich zu verhandeln. (20)
Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, wie das Verhältnis zwischen dem Nutzen der Mediation und den Kosten und der Dauer von Gerichtsverfahren ist. Ein erfolgreiches Mediationsverfahren kann – je nachdem, in welchem Stadium es durchgeführt wird - kostengünstiger und erheblicher schneller als ein staatliches Gerichtsverfahren sein. Wird bei geschickter Handhabung das Verfahren verkürzt, können schon hierdurch Kosten gespart werden.
Ein Grund, warum die Modellprojekte so erfolgreich sind, ist gegenwärtig sicherlich in der Institutionalisierung bei Gericht zu sehen. An dieser Stelle darf ich nochmals an die gesellschaftspolitischen Ursachen der unzureichenden Akzeptanz außergerichtlicher Streitschlichtung anknüpfen. Die Streitkultur in Deutschland ist gegenwärtig noch dergestalt, dass die Parteien vor Gericht gehen, um „Recht“ zu bekommen. Andere Formen der Streitschlichtung sind im Bewusstsein noch nicht in dem Maße verankert wie in anderen Ländern. So ist es möglich, dass die Parteien erstmals bei Gericht mit dieser Möglichkeit der Streitschlichtung bekannt gemacht werden. Ängste, dass „ihr“ Streit nicht von einer neutralen Person entschieden wird, brauchen die Beteiligten nicht zu haben, ist doch bei der gerichtsnahen Mediation ein Richter der Mediator. Mit seinem beruflichen Ansehen ist die Unparteilichkeit verbunden. Auf diese Weise kann ein gegebenenfalls vorhandenes Misstrauen gegenüber diesem neuartigen unbekannten Weg der Streitvermittlung viel leichter ausgeräumt werden.
Die Rolle des Richters als Mediator birgt natürlich Gefahren. Der Richter hat gelernt, einen Sachverhalt unter einen Tatbestand zu subsumieren, wesentliches von unwesentlichem zu trennen, um die Grundlage für seine Entscheidung vorzubereiten. All dies darf er als Mediator gerade nicht tun. Die ihm durch die Mediation auferlegte Selbstbeschränkung, die Verhandlungen der Parteien lediglich zu strukturieren und zu unterstützen, erfordert ein hohes Maß an Umdenken in seinem Rollenverhalten. Der Richter muss sich weitgehend von seinem Richterverständnis lösen. Eine fundierte Ausbildung in Mediation ist für „Richtermediatoren“ unumgänglich. Das heißt aber nicht, dass der Richter jedes Machtgefälle zwischen den Parteien sehenden Auges hinzunehmen hat. Zu seinen Aufgaben gehört es, bei der Verhandlungsführung dominante Verhandlungspartner so weit zu kontrollieren, dass auch Verhandlungsschwache ausreichend die Gelegenheit erhalten, ihre Vorstellungen und Interessen vorzutragen. (21) Im Übrigen kann ein Ungleichgewicht auch durch die Anwesenheit der Rechtsanwälte der Parteien ausgeglichen werden.
Ich gebe auch einen Aspekt zu bedenken, der in der bisherigen Diskussion über die gerichtsnahe Mediation wenig angesprochen worden ist. Aufgrund der Arbeitsteilung – hier der streitschlichtende, dort der streitentscheidende Richter – kann durchaus die Zufriedenheit bei den zivilrechtlichen Kollegen leiden, die für das streitige Verfahren zuständig sind. Welcher Richter kennt das befriedigende Gefühl nicht, wenn er die Parteien zu einem Vergleich hat führen können? Und dies keineswegs nur im Hinblick darauf, dass dadurch das Absetzen eines Urteils entbehrlich wird. Dem guten Zivilrichter fehlt etwas, wenn ihm Richtermediatoren das Wasser der Vergleiche abgraben. Dem sollte durch eine entsprechende Personalwirtschaft Rechnung getragen werden, so dass auch die Richter, die für das streitige Verfahren zuständig sind, die Möglichkeit haben, Mediationen - natürlich nicht in den eigenen Rechtsstreitigkeiten - durchzuführen.
Meine Damen und Herren, um Missverständnissen vorzubeugen: Der Richtermediator kann und darf nicht als Ausdruck des Misstrauens gegenüber Rechtsanwälten und anderen Personen verstanden werden, die als Mediator tätig sind. Es geht auch nicht darum, eine Konkurrenz zum Berufsbild des außergerichtlichen Mediators aufzubauen. Vielmehr geht es allein darum, den Parteien neue Wege im Rahmen der Konfliktlösung aufzuzeigen, auch wenn sich die Parteien zunächst einmal vorgestellt haben, den Konflikt nur durch einen Richterspruch bewältigen zu können. Und ich darf die Worte von meinem Kollegen Dr. Götz von Olenhusen auf dem 1. Konfliktmanagement- Kongress im Jahr 2004 aufgreifen, der daran erinnerte, dass von einer gerichtsnahen Mediation ein Multiplikationseffekt ausgehen könne. Haben die Parteien erstmals eine erfolgreiche Mediation bei Gericht erlebt, werden sie sich beim nächsten Mal viel leichter auf eine außergerichtliche Mediation verständigen können.
Mediation ist selbstverständlich nicht in allen Fällen ein geeignetes Instrument der Streitschlichtung. Der Nachteil einer gescheiterten Mediation besteht im Zeit- und Geldverlust. (22) Ich erwähnte es bereits am Anfang: Hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung oder erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine grundlegende Entscheidung, ist für Mediation kein Raum. Mediation setzt den Willen der Parteien voraus, sich auf dieses Verfahren einzulassen. Wird der Streit von Rechthabern nur um des Streites willen geführt, besteht wenig Aussicht auf Einigung. Hat die Partei keinen Entscheidungsspielraum oder keine Entscheidungskompetenz, bietet sich das Mediationsverfahren ebenso wenig an. (23) Allerdings haben die Erfahrungen in den Pilotprojekten nicht die Annahme bestätigen können, dass besonders die Fälle, in denen die Parteien noch eine zukünftige Beziehung miteinander haben wie z. B. im Gesellschaftsrecht, oder in denen Emotionen beteiligt sind wie im Familienrecht oder bei Nachbarschaftsstreitigkeiten besonders mediationsgeeignet sind. Dies gilt auch für Mietsachen. Vielmehr ist der entscheidende Faktor die Freiwilligkeit der Parteien, eine gemeinsame Konfliktlösung zu erarbeiten unabhängig vom Verfahrensstand und Rechtsgebiet.
Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen der gerichtsnahen Mediation möchte ich nur kurz die Problempunkte anreißen, ohne sie angesichts der Kürze der Zeit einer Lösung zuführen zu können.
Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen besteht insbesondere Unsicherheit darüber, ob es sich bei der gerichtsnahen Mediation um eine richterliche oder eine Verwaltungstätigkeit handelt, inwieweit die Anwesenheit von Rechtsanwälten in der gerichtlichen Mediation erforderlich ist, wie der Grundsatz der Vertraulichkeit gegebenenfalls durch Zeugnisverweigerungsrechte durchgesetzt werden kann, ob Parteierklärungen im gescheiterten Mediationsverfahren im späteren gerichtlichen Verfahren verwertbar sind – was nicht der Fall sein darf – und welche Kosten und Gebühren im Mediationsverfahren entstehen.
Problematisch ist insbesondere, ob die geltende Rechtslage die Freistellung von Richtern für Aufgaben der Gerichtsmediation ohne weiteres erlaubt. Klärungsbedürftig ist, ob es sich um eine richterliche Tätigkeit handelt oder eine Freistellung für die Justiz- oder Gerichtsverwaltung möglich ist oder ob eine typische – genehmigungsbedürftige – Nebentätigkeit vorliegt. (24)
Nach Abschluss und Auswertung der Modellprojekte sind all diese Fragen einer gesetzlichen Regelung zuzuführen, wenn man sich dafür entscheidet, dass die gerichtsnahe Mediation eine zusätzliche Option der Konfliktlösung darstellen soll.
Die Institutionalisierung der Mediation bedeutet nicht, dass die Gerichte diese Form der Konfliktlösung als Alternative zum traditionellen Verfahren unter allen Umständen oder bevorzugt anbieten müssen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten der Konfliktbewältigung. Die Erfahrungen beim Oberlandesgericht Stuttgart belegen, dass dort auch ohne Mediation etwa 80 Prozent der Verfahren nichtstreitig erledigt werden. Andererseits ist die Quote erfolgreicher Mediationen etwa im Landgerichtsbezirk Göttingen und Braunschweig mit ca. 90 % außerordentlich hoch.
Die Anwendung der Mediation sollte dadurch gefördert werden, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es anderen Professionen ermöglichen, ein hochwertiges Mediationsangebot bereit zu stellen. Ob anzustreben ist, dass die gerichtsnahe Mediation nur eine Übergangslösung darstellt (25), so dass Richter sich dann auf die Aufgabe eines „Fallmanagers“ zurückziehen und den Parteien in geeigneten Fällen die Mediation vorschlagen kann, sei dahingestellt.
Meine Ausführungen sollen jedenfalls als Plädoyer verstanden werden, sich modernen Formen der Konfliktlösung nicht zu verschließen und Konflikte nicht allein durch den Gang zum Gericht und durch eine streitige Entscheidung lösen zu wollen.
Im übrigen fügt sich diese Tendenz in einen größeren Rahmen: Menschen wollen in einer freiheitlichen, ihre Autonomie respektierenden Gesellschaft auch in den Bereichen, in denen sie der staatlichen Hoheitsgewalt unterworfen sind, soviel Selbstbestimmung wie möglich behalten. So gesehen ergeben sich interessante Parallelen zwischen der Mediation in Zivilstreitigkeiten und dem sog. Deal, also der Urteilsabsprache in Strafverfahren.
Ich wünsche dem 3. Konfliktmanagement-Kongress ein gutes Gelingen und viel Erfolg!
(1)Stadler NJW 1998, 2479, 2482
(2)Hehn, Rüssel NJW 2001, 347
(3)Boysen, Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht 2001, 1009
(4)Zöller, ZPO-Kommentar, 25. Aufl., § 278 Rdn. 1
(5)z. B. Feix, Die Verankerung einvernehmlicher Streitbeilegung im deutschen Zivilprozessrecht, Diss. 2004; Jenkel, Der Streitschlichtungsversuch als Zulässigkeitsvoraussetzung in Zivilsachen, Diss. 2002
(6)Schiffer u.a., Schiedsverfahren und Mediation, 2. Aufl., Rdn. 36 ff.
(7)Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 2. Aufl., Rdn. 8 f.
(8)Zöller a.a.O. vor § 1025 Rdn. 6; Schiffer a.a.O. Rdn. 70 ff.
(9)Hirsch, Petersberger Schiedstage 2003
(10)Gottwald, Triberger Symposium 1997, S. 59
(11)s. Gottwald aaO S. 58
(12)NJW 2006, Heft 26, S. XVI
(13)weitere Schlichtungsstellen s. bei Jenkel, Der Streitschlichtungsversuch als Zulässigkeitsvoraussetzung in Zivilsachen, Diss. 2002, S. 84
(14)Boysen aaO S. 1012
(15)s. Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 14. März 2002 „Wer wird denn gleich vor Gericht gehen?“
(16)s. Stellungnahme Deutscher Richterbund vom 26. September 2005 zur Neufassung des § 15 a EGZPO
(17)Lachmann aaO Rdn. 22; Gottwald aaO S. 60
(18)s. Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (KOM (2004) 718 engültig)
(19)s. zum folgenden Schiffer aaO Rdn. 747 ff.; Gottwald aaO S. 61
(20)Gottwald aaO S. 61
(21)Schiffer aaO Rdn. 797
(22)Lachmann aaO Rdn. 47
(23)Schiffer aaO Rdn. 806
(24)s. Prütting FS Busse 2005, S. 263, 270 f.
(25)s. Beschluss der Justizministerkonferenz vom 29./30. Juni 2005 zu TOP I. 2.2.9.