Der Bundesgerichtshof

Verhandlungstermin am 30. Juni 2022, 9:00 Uhr, Saal E 101, in Sachen VII ZR 412/21 ("Dieselverfahren": Volkswagen AG, EA 288, "Fahrkurvenerkennung")

Ausgabejahr 2022
Erscheinungsdatum 25.04.2022

Nr. 049/2022

Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat hat in einem zur mündlichen Verhandlung anstehenden Verfahren über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Einbau eines Motors des Typs EA 288 in ein von der Volkswagen AG hergestelltes Fahrzeug zu entscheiden.

Sachverhalt:

In dem Verfahren nimmt der Kläger die beklagte Fahrzeugherstellerin - die Volkswagen AG - auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger erwarb im Oktober 2017 einen von der Volkswagen AG hergestellten Pkw VW Golf VII 2.0 TDI Highline (Erstzulassung September 2015) als Gebrauchtwagen zum Preis von 21.750 €. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet und verfügt über einen NOx-Speicherkatalysator, welcher im Fahrbetrieb "regeneriert", d.h. geleert wird. Dies erfolgt, wenn der Speicherkatalysator voll ist oder nach einer Fahrstrecke von etwa fünf Kilometern. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs erkennt anhand der Vorkonditionierung die bevorstehende Prüfung im Rahmen des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und veranlasst eine Regeneration des Speicherkatalysators, so dass dieser zu Beginn des Testzyklus geleert ist.

Das Klägerfahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die in der Hauptsache zuletzt auf Erstattung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung des Klägers hatte weitgehend Erfolg.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte hafte dem Kläger gemäß §§ 826, 31 BGB. Sie habe potentielle Erwerber von Kraftfahrzeugen getäuscht, indem sie mit dem Inverkehrbringen des Motors EA 288 2.0 (Euro 6) mit der NOx-Speichertechnologie konkludent erklärt habe, die Fahrzeuge verfügten über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis, deren Fortbestand nicht dadurch gefährdet sei, dass die erforderliche EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung des KBA erschlichen worden sei. Unter Zugrundelegung der europarechtlichen Vorgaben enthalte der Motor im Klägerfahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil die Motorsteuerung des Emissionskontrollsystems nur für den Prüfzyklus einen verringerten Emissionsausstoß vorsehe. Der Vortrag des Klägers zu einer Zykluserkennung im Prüfstand sei hinreichend substantiiert. Ihrer sekundären Darlegungslast, dass und warum hier keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, sei die Beklagte nicht nachgekommen. Ausnahmetatbestände, die zur Zulässigkeit der Abschalteinrichtung führten, griffen nicht ein. Dass das KBA sich die Auffassung der Beklagten, bei fehlender Grenzwertkausalität liege keine Abschalteinrichtung vor, zu Eigen gemacht habe, entlaste die Beklagte nicht. Die Verwaltungspraxis des KBA habe keine Grundlage in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und sei auch sonst haltlos, so dass es auf den fehlenden Rückruf nicht ankomme. Bei rechtmäßigem Vorgehen des KBA drohten Maßnahmen bis hin zur Stilllegung. Die Beklagte habe nach eigenem Vortrag erst ab der Kalenderwoche 22 im Jahr 2016 in neu produzierten Fahrzeugen die Fahrkurvenerkennung entfernt. Durch die Verwendung der Fahrkurvenerkennung im Motortyp EA 288 seien die Kunden der Beklagten genauso getäuscht worden wie durch die "Umschaltlogik" im Motortyp EA 189. Die Sittenwidrigkeit des allein vom Profitinteresse geleiteten Handelns der Beklagten ergebe sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich in das KBA, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Artikel 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:

Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck: [...] "Abschalteinrichtung" ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird; [...]

Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:

Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; [...]

Vorinstanzen:

VII ZR 412/21

Landgericht Halle – Urteil vom 19. November 2020 – 5 O 90/20
Oberlandesgericht Naumburg – Urteil vom 9. April 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21. Juni 2021 – 8 U 68/20

Karlsruhe, den 25. April 2022

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