Verhandlungstermin am 15. Mai 2025 um 10:00 Uhr in der Sache III ZR 417/23 (Rettungsdiensteinsatz bei geburtshilflichem Notfall)
Ausgabejahr 2025
Erscheinungsdatum 08.05.2025
Nr. 090/2025
Der unter anderem für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über einen Fall zu entscheiden, in dem den beteiligten Rettungsleitstellen Versäumnisse im Zusammenhang der Entsendung von Rettungsmitteln vorgeworfen werden.
Sachverhalt:
Die Kläger sind die Eltern und Erben eines am 14. Januar 2017 geborenen und am 12. Februar 2018 verstorbenen Kindes. Sie nehmen die beklagten Landkreise und kreisfreien Städte wegen Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit einem Rettungsdiensteinsatz auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in Anspruch.
Die Kläger haben ihren Wohnsitz in einer Gemeinde im Kreis Nordwestmecklenburg. Die Beklagten zu 1 bis 3 und 5 sind umliegende Landkreise beziehungsweise kreisfreie Städte, wobei die Beklagten zu 1 bis 3 in Schleswig-Holstein gelegen sind, die Beklagten zu 4 und 5 in Mecklenburg-Vorpommern. Die zu 1 beklagte Hansestadt Lübeck unterhält eine eigene Rettungsleitstelle. Die zu 2 und 3 beklagten Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg unterhalten eine gemeinsame Rettungsleitstelle in Bad Oldesloe, die Beklagten zu 4 und 5, der Landkreis Nordwestmecklenburg und Landeshauptstadt Schwerin, in Schwerin. Im Juli 2006 trafen die Beklagte zu 1 und der Beklagte zu 4 eine Vereinbarung über die Leistung von Hilfe durch die Beklagte zu 1 für bestimmte, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zu 4 liegende Ortschaften, die sie im Februar 2011 auf die Gemeinde, in der die Kläger wohnten, erweiterten. Nach dieser Vereinbarung hatte der Beklagte zu 4 die bei ihm eingehenden Notfallmeldungen unmittelbar an die Leitstelle der Beklagten zu 1 weiterzuleiten, wenn geeignete Rettungsmittel des Beklagten zu 4 nicht zur Verfügung standen, und die Beklagte zu 1 Rettungsfahrzeuge zu entsenden, sofern bei ihr entsprechende Kräfte verfügbar waren. Der Beklagte zu 4 sollte aber für die Einhaltung der Hilfsfrist verantwortlich bleiben und die Beklagte zu 1 außerdem bei einfacher Fahrlässigkeit von Ansprüchen Dritter freihalten.
Einen Monat vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes traten im Januar 2017 bei der Klägerin gegen 22:20 Uhr Schmerzen auf. Der Kläger rief daher um 22:36 Uhr bei der betreuenden Hebamme an, die ihm sagte, die Klägerin müsse sofort in ein Krankenhaus gebracht werden. Der Kläger verständigte daraufhin den Rettungsdienst. Das Gespräch ging um 22:41 Uhr in der Leitstelle Bad Oldesloe ein. Der Kläger teilte dem Disponenten der Leitstelle mit, dass die Klägerin starke Schmerzen habe und laut Hebamme sofort in ein Krankenhaus gebracht werden müsse. Der Disponent leitete den Notruf um 22:47 Uhr an die Leitstelle Schwerin weiter. Der Disponent der Leitstelle Schwerin leitete den Notruf mit der Erklärung an die Leitstelle Lübeck weiter, es gehe um Schmerzen in der Schwangerschaft. Auf die Einschätzung der Hebamme, die Klägerin müsse sofort in ein Krankenhaus gebracht werden, wies er die Leitstelle Lübeck nicht hin.
Der Disponent der Leitstelle Lübeck rief den Kläger an, der ihm mitteilte, dass es um Schmerzen in der Schwangerschaft gehe, ohne auf die Angaben der Hebamme hinzuweisen. Um 22:51 Uhr alarmierte der Disponent der Leitstelle Lübeck einen Rettungswagen, der um 22:53 Uhr ausrückte. Das Fahrzeug traf um 23:17 Uhr bei den Klägern ein. Die Anfahrt war aufgrund von Glatteis erschwert. Wegen eines Zusammenbruchs der Klägerin forderte die Besatzung des Rettungswagens um 23:18 Uhr einen Notarzt an, der um 23:30 Uhr bei den Klägern eintraf und um 23:33 Uhr den Transport der Klägerin in das Universitätsklinikum in Lübeck veranlasste. Die Klägerin traf dort um 23:49 Uhr ein. Kurz nach Mitternacht wurde das Kind durch Notsectio geboren. Bei der Entbindung wurde festgestellt, dass es zu einer vorzeitigen Plazentaablösung gekommen war. Die Notsectio konnte einen erheblichen Gesundheitsschaden aufgrund einer unzureichenden Sauerstoffzufuhr (hypoxisch-ischämische Encephalopathie) nicht mehr verhindern, an dessen Folgen das Kind am 12. Februar 2018 verstarb.
Die Kläger haben geltend gemacht, es habe eine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestanden. Bei der Bearbeitung des Notrufs sei es zu Verzögerungen gekommen, die Amtspflichtverletzungen der Beklagten begründeten. Dasselbe gelte für Informationsverluste zwischen den verschiedenen Leitstellen. Nach den für das Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätzen werde vermutet, dass die Fehleinschätzung, dass die sofortige Entsendung eines Notarzteinsatzfahrzeugs entbehrlich sei, den Schaden verursacht habe. Ein einzuholendes Sachverständigengutachten werde die haftungsbegründende Kausalität der Amtspflichtverletzungen für den Schaden beweisen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat gemeint, nach dem Indikationskatalog der Bundesärztekammer für den Notarzteinsatz habe das Meldebild nicht die sofortige Entsendung eines Notarztes zum Wohnort der Kläger indiziert. Die Weiterleitungen der Notfallmeldungen zwischen den Rettungsleitstellen seien nicht zu beanstanden und nicht schadensverursachend. Mit der vom III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Vorinstanz:
LG Lübeck - 5 O 27/21 - Urteil vom 6. Oktober 2022
OLG Schleswig - 11 U 18/23 - Urteil vom 9. November 2023
Karlsruhe, den 8. Mai 2025
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